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Montag, 14. November 2011

Brief der Studentenschaft an Direktor Jan Schütte und die Mitglieder des Kuratoriums

Sehr geehrter Herr Schütte,
sehr geehrter Herr Junkersdorf,
sehr geehrter Herr Dr. Reupke,
sehr geehrte Frau Niehuus,
sehr geehrter Herr Geyer,
sehr geehrter Herr Bachmann,
sehr geehrter Herr Rogge,
sehr geehrte Frau Randow,
sehr geehrte Frau Thielen,
sehr geehrter Frau Tronnier,
sehr geehrte Frau Prof. Ziegler,
sehr geehrte Frau Dr. Nothelle,

Berlin, 27. Juni 2011

die Studentenschaft der dffb ist sehr besorgt um die Zukunft ihrer Akademie. Wir wenden uns an Sie, sehr geehrter Herr Schütte, und Sie, sehr geehrte Damen und Herren des Kuratoriums, in der Hoffnung, gemeinsam einer aus unserer Sicht fatalen Entwicklung Einhalt zu gebieten.

Woher rührt unsere Sorge? Insbesondere der intransparente und scheinbar willkürliche Verlauf von wichtigen Entscheidungsprozessen, aber auch das katastrophale Betriebsklima an der dffb sprechen eine deutliche Sprache: Selten war die dffb so weit entfernt von der progressiven Idee, die sie jahrzehntelang zu einer in Deutschland einzigartigen Institution gemacht haben.

„Am Anspruch, eine Opposition gegen die Nivellierung der Medienlandschaft zu bilden, und am antiautoritären Prinzip der Selbsterprobung hat sich in drei Jahrzehnten dffb nichts geändert. Mitbestimmung, Selbstverwaltung und Drittelparität im Akademischen Rat garantieren einen Freiraum, der es den Absolventen erlaubt, ihre Lehrer selbst vorzuschlagen und das Ausbildungskonzept mitzuentwickeln“, schrieb DIE ZEIT am 27.09.1996 zum dreißigjährigen Jubiläum.

Was ist heute davon übrig geblieben? Eine intransparente, autoritäre Machtausübung durch die Akademieleitung, eine lähmende Bürokratisierung und Hierarchisierung des alltäglichen Betriebs, ein Verschwinden der Schulöffentlichkeit. Damit geht die Vereinzelung der Studenten einher, deren Impulse, gemeinsam die Zukunft der Schule mitzugestalten, jäh zurückgewiesen werden. In der Angst vor Benachteiligung wagt kaum noch jemand seine Meinung frei zu äußern.

Zugegebenermaßen hat Ihr Amtsantritt, Herr Schütte, diesen schleichenden Prozess nicht in Gang gesetzt. Schon die Amtszeit von Ihrem Vorgänger Prof. Hartmut Bitomsky war von ähnlichen Entwicklungen bestimmt. Doch die Hoffnungen, Ihr Antritt als Direktor könnte vielleicht einen positiven Neuanfang bedeuten, wurden bislang mehr als enttäuscht.

Bis heute gab es weder eine öffentliche Vorstellung, noch wurden die Ideen und Ziele für die Zukunft der Akademie vor der Akademieöffentlichkeit formuliert, geschweige denn mit dieser diskutiert. Ein zweiwöchentlicher Termin mit Studentenvertretern diente der Besprechung von Nebensächlichkeiten wie der Neugestaltung der Cafeteria oder der Planung von Klassenfahrten. Wer also etwas über Ihre Ideen und Ziele für die Akademie erfahren wollte, dem blieben zwei Wege: Entweder konnte man versuchen, diese ansatzweise aus Ihren Presseinterviews herauszulesen, oder aber man musste die von Ihnen geschaffenen Tatsachen interpretieren.

Die Auseinandersetzungen um die Frage nach einer Weiterbeschäftigung des festen Regiedozenten Marin Martschewskis haben mehr als deutlich gemacht, wie die Akademie in Zukunft geführt werden soll, nämlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit (das heißt unter Ausschluss der Studenten und Dozenten). In einer Petition hatten sich 120 Studenten für den Verbleib von Marin Martschewski ausgesprochen. Martschewski erscheint uns als unverzichtbarer Garant für die Qualität der Ausbildung, auf den zu verzichten ihnen zum jetzigen Zeitpunkt unnötig und unklug erscheint. Die Akademieleitung hat bislang kein Konzept für die Berufung eines adäquaten Nachfolgers vorlegen können. Martschewski verfügt über einen filmischen Horizont, der das gesamte Spektrum von Kunst und Kommerz, von Fiktion und Dokumentation abdeckt. Aus Sicht der Studenten hat kein anderer der zahllosen freien Dozenten an der Akademie ein derart breites Verständnis filmischer Handschriften. An einer Schule, in der extrem unterschiedliche Erzählstrategien verfolgt werden, fungiert Martschewski als gemeinsamer Nenner und Bezugspunkt, während andere Dozenten eher für spezifische Gruppen als Mentoren funktionieren. Sein initialisierendes Seminar am Anfang des Studiums schafft überhaupt erst den Diskussionsraum, in dem die individuellen filmischen Positionen verhandelbar werden. Insofern ist dieses Seminar Bedingung für den Erfolg des gesamten Curriculums. Seine langjährige Verbundenheit mit der Akademie ermöglicht ein tiefgreifendes Verständnis von deren Spezifik. Aus diesen Überlegungen heraus erscheint ein übergangsloses Ausscheiden Martschewskis als grobe, unnachvollziehbare Fahrlässigkeit.

Im Gespräch mit Studentenvertretern, als Gast einer Vollversammlung und in einer Aussprache mit dem aufgebrachten ersten Jahrgang haben Sie, Herr Schütte, immer nur ihre Ablehnung einer aktiven und mündigen Einbindung der Studentenschaft in die Entscheidungsprozesse an der dffb kommuniziert. Aber nicht nur die Mitgestaltung dieser Prozesse wird den Studenten versagt, selbst die Möglichkeit des Nachvollzugs wird ihnen verunmöglicht. Auf die Forderung nach einer Weiterbeschäftigung Martschewskis verwiesen Sie auf „Kontexte, die sich durch den Senat und das Kuratorium ergeben und welche eine Weiterbeschäftigung unmöglich machen“ und streng vertraulich seien. Obwohl Sie selbst mit Ihren Aussagen die Senatskanzlei als eigentlichen Ansprechpartner benannten, reagierten Sie aggressiv auf einen höflichen Brief der Studentenschaft an Herrn Dr. Reupke, indem Sie die Kommunikation mit den Studenten bis auf weiteres einseitig beendeten und den gewählten Vertretern der Studentenschaft die Ausführung ihres Auftrags zur Absendung des Briefes als persönliches Versagen vorwarfen.

Die ungleiche, ungerechtfertigte Vergabe von Ressourcen und die damit indirekte Behinderung von Projekten, das demonstrativ mangelnde Interesse an Filmen bei gleichzeitiger uneingeschränkter Entscheidungsautorität über deren Freigabe, die nicht nachvollziehbaren Entscheidungen über Festivaleinreichungen oder die Aufforderung an die Mitarbeiter, mehr Distanz zu den Studenten zu wahren – in all diesen Punkten handeln sie nicht im Sinne der Studentenschaft, und damit nicht im Sinne der dffb. Dass mittlerweile der profilierte Produzent Peter Rommel als neuer leitender Produktionsdozent bekannt gegeben wurde, begrüßt die Studentenschaft sehr. Doch auch hier bleibt das ungute Gefühl, vor vollendete Tatsachen gestellt worden zu sein.

Die Studenten fühlen sich durch all diese Faktoren zunehmend als unmündige Angestellte in einer überbürokratisierten und autoritären Struktur, in der Engagement und freie Meinungsäußerung nicht nur unerwünscht, sondern als gefährlich gelten.

Sehr geehrter Herr Schütte, sehr geehrte Kuratoriumsmitglieder, all diese Probleme lassen sich auf einen Punkt zurückführen: Die Marginalisierung des Akademischen Rates als zentrales Entscheidungsorgan der dffb. Der Akademische Rat war über Jahrzehnte ein bewährtes Instrument, um Konflikte zwischen Akademieleitung, Dozenten- und Studentenschaft zu mediatisieren, um gemeinsame Lösungen zu finden, aber auch, um zu gewährleisten, dass Entscheidungsprozesse von der Akademieöffentlichkeit kritisch beobachtet werden können. Ein funktionierender Akademischer Rat könnte das verschobene Gleichgewicht wieder herstellen, für Entspannung des Betriebsklimas und einen konstruktiven Diskurs sorgen.

Für die Direktion ist der Akademische Rat nur ein beratendes Gremium, das zudem unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden soll. Ein Protokoll über den einzigen (!) Akademischen Rat unter Herrn Schütte am 9. März 2011 steht bis heute aus. Für die Studenten muss der Akademische Rat weiterhin das maßgebliche Entscheidungs-Gremium der Akademie bleiben, das „Fragen von grundsätzlicher Bedeutung“ (§7, Statut der dffb) drittelparitätisch und bindend entscheidet. Die ehemalige Vorsitzende der Senatskanzlei, Frau Barbara Kisseler, bekräftigte in einem Gespräch mit der Studentenschaft am 24.03.2010 zum wiederholten Male die Entscheidungskompetenz, die dem Akademischen Rat auch von Seiten des Senats garantiert werde. Die Studentenschaft betrachtet die Teilnahme an einem öffentlichen Akademischen Rat als Bedingung für ein aktives Studium. Nur so kann ein konstruktiver Diskurs, eine Bindung an und ein Engagement für die Akademie gewährleistet werden.

Scheinbar wird der Akademische Rat von der Akademieleitung als potentielle Gefahr betrachtet. Die Sorge ist unbegründet. Der Gründungsdirektor Dr. Heinz Rathsack zeigte sich in einem Zeitungsinterview aus den frühen Siebziger Jahren begeistert von dieser demokratischen Errungenschaft, die es nach Jahren schwerer Krisen ermöglicht hatte, endlich ein konstruktives Klima an der dffb herzustellen. In einem offenen und entscheidungsmächtigen Akademischen Rat könnten Akademieleitung, Studenten- und Dozentenschaft endlich wieder gemeinsam die Zukunft der Akademie gestalten, anstatt ihren Zersetzungsprozess durch gegenseitiges Misstrauen weiter fortzusetzen.

1972 beschreibt ein Journalist der ZEIT das Klima an der dffb in folgenden Worten: „Erster Eindruck, wenn man in die Akademie in einem Nebengebäude des Senders Freies Berlin kommt: eine gute Atmosphäre, offen und tolerant. Sehr selbstbewusste Studenten mit einem klaren Problembewusstsein von sich selbst, der Akademie, ihren Themen und Plänen, und eine Leitung und Verwaltung, die offenbar einzig für diese Studenten da sind. Die Atmosphäre in München erinnert eher an einen schulischen Betrieb: untereinander hoffnungslos zersplitterte Studenten, über die hinweg geplant, verwaltet und entschieden wird; die meisten kennen sich nur flüchtig und sind räumlich, psychisch und vom Lehrbetrieb her isoliert; Frustrationen, Lethargie, mangelnde Motivation bei den Studenten, zu viel institutionalisierter Leerlauf, Unverbindlichkeit, auch Inkompetenz und eine störende Hierarchie und Apparatur von Seiten der Hochschule.“ (DIE ZEIT, 15.12.1972)

Letztere Zustandbeschreibung der HFF München lässt sich heute traurigerweise unverändert auf die dffb übertragen. Sehr geehrter Herr Schütte, sehr geehrte Damen und Herren des Kuratoriums, wir möchten Sie bitten, mit uns gemeinsam die dffb wieder zu dem zu machen, was sie einmal war und wieder sein könnte. Die dffb zeichnete sich jahrzehntelang durch ein funktionierendes Modell akademischer Mitbestimmung aus, das die Studenten als mündige Partner respektierte und ihr Verantwortungsgefühl und Engagement für eine lebendige Akademie förderte. Die Studentenschaft wehrt sich gegen den langsamen Erstickungstod, das diesem Modell droht. Herr Schütte, wir möchten Sie dringend auffordern, den akademischen Rat in Zukunft regelmäßig für alle wichtigen Fragen einzuberufen und seine Entscheidungskompetenz anzuerkennen. Wir bitten zudem das Kuratorium, die Akademieleitung an ihre Verpflichtung (aber auch ihr eigenes Interesse) zu erinnern, wichtige Entscheidungsprozesse an der dffb wieder in den Akademischen Rat zu tragen und damit die erfolgreiche partizipative Tradition der dffb aufrecht zu erhalten.

Als ersten Schritt möchten wir Sie, Herr Junkerdorf, als Vorsitzenden des Kuratoriums der dffb zu einem schlichtenden runden Tisch mit der Akademieleitung, Dozenten- und Studentenvertretern in die dffb einladen. Bitte teilen Sie uns einen zeitnahen Terminvorschlag mit.

Mit freundlichen Grüßen,
die Studenten der dffb